Gesundheit soll digitaler werden
Hochrangige Gäste hatte Merck in das Allianz Forum am Brandenburger Tor in Berlin eingeladen, um über das Thema „Digitale Gesundheit“ zu sprechen. Insbesondere Staatssekretär Dirk Wiese und Ingrid Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Pharmaunternehmen (VfA e. V.) stellten dabei das Thema „Chancen der Digitalisierung und Veränderung“ in den Vordergrund. Risiken und Hindernisse wurden natürlich ebenfalls diskutiert: Die bekannte „Ja, aber…“-Mentalität ist bekanntlich eine der größten Hürden für Innovation in allen Branchen, nicht nur beim Thema digitale Gesundheit. Doch womit befasst sich eigentlich digitale Gesundheit, oder auch „Digital Health“?
In vier Schritten zur digitalen Gesundheit
James Kugler, Chief Digital Officer bei Merck, kategorisierte in der Podiumsdiskussion die notwendigen Grundlagen für eHealth-Lösungen in vier schlüssige Schritte:
- Daten zur Verfügung haben
- Daten so ordnen und strukturieren, dass Sie automatisiert verarbeitet werden können
- Erkenntnisse aus den Daten gewinnen
- Auf Basis gewonnener Erkenntnisse Handlungen erwirken
Diagnosedaten digitalisieren: Eine Riesenaufgabe und „wildly unsexy“
Für James Kugler stellt Punkt 2, das Strukturieren von Daten, die größte Herausforderung dar. Als Beispiel nennt er die Captcha-Technik, die in großem Maße die Erkennung unleserlicher Fotos und Scans ermöglicht. So beispielsweise für Straßennamen und Hausnummern bei Google Maps. Eine Herausforderung, die beim Digitalisieren ärztlicher Diagnosen noch ungelöst ist. Wofür steht in einer Diagnose beispielsweise die Abkürzung EK? Und wer hat Zeit und Lust das in großem Umfang zu klären?
Ein Telefonanruf kann Wunder bewirken
Dr. Tim Züwerink, CEO der Gotthardt Healthgroup AG, sieht die Herausforderung vor allem in Punkt 4, der Übersetzung bekannten Wissens in reale Handlungen. So könnten einfache Telefonanrufe die Anzahl der Notaufnahmen von minderjährigen Asthma-Patienten um 90 % zu reduzieren. Wenn die Eltern der Kinder denn tatsächlich angerufen werden und man sie rechtzeitig erinnert, dass das Asthma-Medikament ihrer Kinder zu Ende geht.
Der Teufel steckt im Daten-Detail
Sebastian Semler, Geschäftsführer der Technologie- und Methodenplattform für medizinische Forschung (TMF e. V.), kämpft hingegen vorwiegend mit Punkt 1, der Verfügbarkeit medizinischer Daten. Daten, die aus Datenschutzgründen, uneinheitlicher oder völlig fehlender Standardisierung einfach nicht vorliegen oder nicht übertragen werden können.
Übersetzt in die Sprache der Innovation heißen die vier Punkte etwa wie folgt:
- Problem identifizieren
- Problem verstehen
- Problem lösen
- Lösung umsetzen
Die Lösung ist nicht das Problem …
Wenig erstaunlich ist dabei, dass Punkt 3, also eine Lösung auf bekannte Probleme zu finden, nur selten als relevante Herausforderung gesehen werden. An Ideen mangelt es typischerweise nicht.
Dennoch sind ungelöste Herausforderungen schmerzhaft immanent, also Punkt 3. So etwa die haarsträubende Unwissenheit der Ärzte, wenn es darum geht, welche verschiedenen Medikamente ihre Patienten tatsächlich einnehmen. Eine ethische Grauzone für alle Ärzte, insbesondere wenn Patienten mehrere Ärzte parallel aufsuchen, Medikamente aus der Apotheke beschaffen, oder auch nicht, und die tatsächlich vorgenommene Dosierung unbekannt bleibt, so ein Beispiel von Prof. Karl Strötmann, Senior Research Associate bei empirica Communication & Technology GmbH.
… und künstliche Intelligenz in vielen Fällen nicht die Lösung
Eine Herausforderung, die in erster Linie an ungeschickten Anreizsystemen scheitert, wie es oft der Fall ist. Da sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Dass künstliche Intelligenz und die sprichwörtliche Digitalisierung per se solche Probleme lösen wird, ist nicht zu erwarten. Letztlich verbirgt sich hinter der hochgelobten künstlichen Intelligenz vorwiegend seit 30 und mehr Jahren bekannte Mathematik und Statistik. Auch die heutigen Möglichkeiten an Rechenleistung und -geschwindigkeit reichen allein nicht aus, so James Kugler. Für Diagnosen und belastbare Interpretation von Daten wird nach wie vor der Mensch benötigt. Beruhigend für alle Anwesenden auch sein Statement „We are not doomed yet!“.
Oft ist der Kunde König ohne Land
Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich bietet durchaus vielfältige Chancen. Dennoch verleitet das Thema und der Hype doch oft dazu, auch Probleme zu lösen, die niemand wirklich hatte. Das oft gehörte Mantra, auch unter den Diskutierenden, den Kunden in den Vordergrund zu stellen, stößt eben doch vielerlei an die Grenzen der Realität. Hier fällt auf, dass Innovationsvorhaben unter der Fahne eines einzigen Megatrends es oft schwer haben, tatsächlich erfolgreich zu werden. Selbst wenn es der Mega-Mega-Trend der Digitalisierung ist.
Herzlichen Dank an die Organisatoren der Veranstaltung und die ausgezeichnete Moderation durch Monika Jones, Journalistin der Deutschen Welle, rund um das Thema #DigitalHealth2018.
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